Im Folgendem werden drei verschiedene Meinungen zur kubanischen Kulturszene wiedergegeben. Zum Teil unter sehr konträren Ansichten zu den verschiedenen Themen, wurden zwei Kulturinstitute, ein Instituto de Barrio und das Casa de las Américas und der Schriftsteller Pedro Luis Ocpuy befragt.

Spaziergang durch Havanna 

Du beginnst deinen Morgen gesund, mit einer reifen Mango und einem Kaffee, ohne Milch, aber sehr viel Zucker. Du nächtigst seit einigen Tagen bei Geydes, einer 43- jährige Señora mit zwei Kindern und ihrem Ehemann Maikel. Sie betreiben ein Casa Particular, was bedeutet, dass sie ein oder mehrere Zimmer ihres Hauses nicht benutzen und diese zumeist an Touristinnen vermieten. Es erinnert dich ein wenig an Airbnb, nur dass das Internet hier in Kuba so langsam und teuer ist, dass du dir selbst nur schwer die nächste Unterkunft buchen kannst. Dafür musstest du gestern mit Geydes sprechen, damit sie dich weitervermittelt. Natürlich kannte sie jemanden in der nächsten Stadt. Es kommt dir vor, als würde sich die ganze Insel kennen. Kein Wunder, so gerne, wie sich hier alle unterhalten. Sie hat direkt ihre Freundin angerufen und mit ihr alles geklärt. Hier lösen sich alle Probleme wie von selber. Ist Kommunikation etwa des Pudels Kern?

Du verlässt das Haus, um ins Museum zu gehen. Ins Museo Nacional de las bellas Artes. Es ist zweigeteilt. Vorgestern bist du schon im europäischen Teil gewesen. Unabsichtlich. Du hast Werke von großer Bedeutung gesehen. Aber was soll das eigentlich hier? Ach ja. Fast hättest du die Kolonialzeit vergessen! Heute hast du endlich die richtige Seite des Gebäudes erwischt und stehst vor bunter, kräftiger Malerei und imponierenden Skulpturen. Vieles steht im Zusammenhang mit der Revolution von ‘59. Der Wind der Rebellion streift hier durchs ganze Land. Fast alle haben eine politische Meinung, Partizipation ist allgegenwärtig. Uncle Sam war lange vertrieben, aber er steht wieder vor der Tür. Er riecht plötzlich nach Freiheit.

Du schlenderst umher und stehst plötzlich vor einem großen, wunderschönen Haus, in Mitten tropischer Bäume, die in einem grünen Garten wachsen, zwischen bunten Blumen, nur unterbrochen von einer einladenden Terrasse seitlich des Hauses.

Du trittst durch das geöffnete Eingangstor und liest ein Schild auf dem UNEAC- Unión de Escritores y Artistas de Cuba geschrieben steht. Eine Gruppe junger Menschen läuft an dir vorbei. Ihr kommt ins Gespräch. Sie erzählen dir, dass sie Schriftsteller sind und eine performative Literaturgruppe gebildet haben. Sie tragen sich ihre Werke gegenseitig vor und die UNEAC bietet Räumlichkeiten für solches. Besonders die Terrasse sei beliebt. Bei der UNEAC handele es sich um den Dachverband der kubanischen Künstler und soll diese nach Richtlinien der Revolution anleiten. Sie kichern. Das funktioniert natürlich nur noch mittelmäßig gut. Wir wissen um den Kampf unserer Eltern und wir bewundern sie dafür, aber wir können derzeit nur zuschauen, wie die Welt zusammenwächst und wir außen vor stehen. Wir wollen auch durch Paris laufen, wie die Touristinnen durch Havanna, Musik auf YouTube entdecken, unsere Bücher mit kritischen Inhalten füllen und trotzdem publizieren. Wagst du das derzeit, werden deine wirtschaftlich eh schon begrenzten Chancen sich in Luft auflösen. Keine Förderungen, keine guten Jobs mehr. Wir verstehen, dass der Widerstand gegen die USA, gegen den Kapitalismus lange wichtig war, aber wir sind durstig nach Veränderungen. Wir wissen nicht, wonach wir streben sollen, weil am Ende alles gleich bleibt. Wir gleich sein sollen. Man darf kritisch sein, aber nicht öffentlich. Unser Land soll nach außen Einigkeit präsentieren, damit unsere imperialistischen Gegner nicht unsere Schwächen ausnutzen. Wir haben uns so lange aufgelehnt, wir stehen besser da, als die meisten Länder Mittelamerikas. Es ist nachts sicher auf der Straße, sehr viele Menschen sind Akademikerinnen. Nur gibt es für diese keine Jobs und keine aufregende Perspektive.

Es dämmert, du läufst die Straße entlang, du hörst etwas, jemand schlägt Holz gegeneinander, eine Trommel, Rassel, mehr Trommeln, immer schneller, ein ganz eigener Rhythmus, kein Buena Vista Social Club, nichts, was du mit Kuba verbindest, Gesang. Es kommt aus einem Haus, du schaust durch das immer- offene Fenster in das Wohnzimmer. An der Wand eine Maria. Dort stehen Frauen und Männer in bunter Kleidung, tanzen, jung, alt, behängt mit bunten Ketten, manche auch komplett in weiß, Kinder spielen, die Kleider der Frauen sind lang, schön, farbenfroh, glitzernd. Eine sehr alte Frau lehnt an der Seite, raucht eine Zigarre, lacht dich an- sie ruft dich herein. Du betrittst das Haus, alle schauen dich an, die alte Frau winkt dich zu sich, reicht dir eine zerknickte Plastikflasche, du trinkst einen Schluck von dem selbstgebrannten Rum, den sie bei den Nachbarn gekauft haben, die Flasche wird herumgereicht. Du wirst aufgefordert, eine Runde Zigaretten auszugeben. Die Musik nennt sich Rumba, sagt sie, genau genommen afrokubanischer Rumba. Gewachsen ist diese Musik vor allem in Havannas Sklavenvierteln im 18. und 19. Jahrhundert. Hört sich ganz und gar nicht nach dem an, was du aus deinem Standardtanzkurs kennst, denkst du verblüfft. Wir haben uns heute zu einem Santería Ritual getroffen, erzählt sie weiter. Dabei handelt es sich um eine Naturreligion, die sich ebenfalls während der Sklavenzeit etabliert hat, die zu den Orisha- Religionen gehört und ihre Wurzeln in Westafrika, beim Volk der Yoruba, findet. Ihr Europäer seht darin etwas wie Voodoo, etwas vor dem ihr euch gruselt, wir wollen nur Kontakt zu unseren Göttern aufnehmen. Ihr sprecht über euren Gott- wir sprechen mit den unseren. Aber seid ihr nicht alle katholisch?, fragst du erstaunt. Sie lacht. Das hat sich doch alles vermischt. Als die Religion mitgebracht wurde, war sie unerwünscht, so dass die Orishas, die Götter, als katholische Heilige getarnt wurden. Viele von uns Kubanern fühlen sich beidem zugehörig. Warum muss man sich immer entscheiden? Unsere Geschichte ist eben von sehr unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Du trinkst noch einen Schluck Rum und verabschiedest dich.

Trittst wieder hinaus in die inzwischen dunkle, heiße Nacht. Du läufst weiter, vorbei an zig Menschen, die ganze Straße ist belebt, überall spielen Kinder, alle erholen sich von der brutal heißen Sonne, die sie tagsüber überall hin verfolgt. Vorbei an umgekippten Mülltonnen, einem Mann mit zwei Huskys, den Lieblingshunden der Kubaner. Plötzlich stehst du vor einem Affen. Er ist weiß, 2 m groß und kippt die letzten Reste seiner Schnapsflasche in seinen geöffneten Mund. Wie gierig!, denkst du und betrachtest das Graffiti weiter. Ein junger Mann gesellt sich zu dir. Hat ein Freund von mir gemalt, sagt er stolz. Wie hat er es denn geschafft, auf so einer belebten Straße, einen so schönen Affen an die Hauswand zu sprühen?, fragst du verwundert. Es sieht aus, als hätte er sich Stunden Zeit gelassen. Ist das hier nicht auch verboten? Doch schon, sagt er, wenn du das einfach so machst und erwischt wirst, kannst du hohe Strafen bekommen, aber die Regierung erlaubt bestimmten Künstlerinnen an einigen Straßenecken zu malen. Hier ist es doch eh schon so bunt überall und wer freut sich nicht über ein schönes Bild an einer grauen Mauer? Die Welt ist viel spannender, wenn es nicht überall gleich aussieht. Sehr weise. Du gibst ihm Recht und läufst weiter.

Langsam wirst du hungrig, just in diesem Moment hörst du laute Salsa Musik. Sie ertönt aus einem hallenartigen Gebäude. Du gehst hinein und betrittst einen großen, hohen Raum, in dem viele Kubaner verteilt an einfachen Holztischen sitzen. Eine Frau läuft auf dich zu. Willst du essen? Trinken? Bier? Rum? Wir haben alles! Sie zieht dich an einen der Holztische und setzt dich zu einem älteren Herren. Vor ihm liegt buntes Krepppapier. Er raucht filterlose Zigaretten, wie die meisten hier. Du fragst nach. Er erzählt, dass er Piñatas für Kindergeburtstage bastelt und diese auf der Straße verkauft. Genug Geld zu haben, ist hier immer schwierig, erzählt er. Das Durchschnittsgehalt liegt bei etwa 40 Euro. Selbst Ärzte verdienen nicht mehr. Wir haben zwar eine Libreta, unsere Essensmarken, kaum jemand wird hier verhungern, aber für individuelle Bedürfnisse ist meistens kein Geld übrig. Dein Essen kommt. Es gibt Hühnchen, in einer roten Soße mit Bananenchips und einem Teller geschnittener Gurken und Avocado, mit Zitrone beträufelt und Salz überstreut. Er erzählt dir, dass du für dein Essen mehr zahlen wirst, als er es tut. Nur so kann dieses System der Gleichheit im Land ansatzweise funktionieren. Die Grundbedürfnisse der Einwohnerinnen müssen günstig gedeckt werden können. Wir dürfen reisen, sagt er, aber woher soll ich das Geld für einen solch teuren Flug nehmen? Damals, kurz nach der Revolution lebten wir in Saus und Braus. Wir waren euphorisiert von unserem Widerstand, wir wurden von Russland unterstützt und genossen endlich Freiheit von der Völlerei der USA. Als Russland jedoch keine Unterstützung mehr leisten konnte, ging es uns von einem auf den anderen Tag so schlecht, dass wir Plastik als Käse auf Pizza aßen aus lauter Verzweiflung. Das Embargo der USA empfanden wir als Versuch uns zu töten. Doch wir blieben standhaft. Die Einzigen, die hier jetzt gut verdienen, sind die, die im Tourismusbereich arbeiten. Die Touristen haben Geld, sie geben es weiter, für sie wirkt Kuba wie ein Schlaraffenland. Geschichte wiederholt sich.

Gedankenverloren verlässt du das Gebäude. Wie viel Individualismus ist notwendig? Gleichheit als Rezept zum Wohle aller?

Dein Weg führt dich zum nächsten Bus. Du bezahlst den obligatorischen Peso und springst in Menschen und Schweiß. Es ist Karneval in Havanna. Pünktlich zum Geburtstag Fidel Castros. Alle fahren zum Malecon. Tanzen, trinken, schauen die Parade. Ein riesiges Straßenfest direkt am Ufer vom Golf von Mexiko. Doch du willst woanders hin. In die Fábrica de Arte, eine alte Ölfabrik, die zu einem Kulturinstitut umgebaut wurde. Plötzlich findest du dich umgeben von hippen Kubanerinnen und Touristen, die Mojito trinkend umherschlendern, die Malerei an den Wänden betrachten, der jungen Jazz Band lauschen, der Rock Band zujubeln, sich über den Kunstfilm auf der meterhohen Leinwand unterhalten, auf der Dachterrasse rauchen, ein veganes Sandwich essen. Alles gleichzeitig, in verschiedenen Räumen. Du hörst eine deutsche Touristin flüstern, dass sie ja nie im Leben mit einem solchen Ort in Havanna gerechnet hätte. Tja. Womit denn sonst?

Der Film Mañana, Ayer, Hoy von Jacqueline Zauner ist eine Reflektion eines internationalen zu beobachtenden Prozesses und der damit verbundenen Kompromissfindung zwischen Altem und Neuem. Ein Eintauchen in eine Welt die wir für die Vergangenheit halten.

 

Autor: Lynn Kühl

 

Ursprünglich erschienen unter:

http://igkultur.at/artikel/manana-ayer-hoy-freiheit-der-kultur-auf-kuba

http://igkultur.at/artikel/ein-spaziergang-durch-havanna